Stadt Zug
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Der Baarer Kinderarzt Raoul Schmid engagiert sich seit vielen Jahren gegen Hüftleiden bei Kindern in der Mongolei. Davon erfuhr er während seinen Ferien, die er dort verbrachte.
Wie kam es dazu, dass Sie während Ihrer Reise in die Mongolei von den häufigen Hüftleiden in der Bevölkerung erfahren haben?War dies ein Zufall oder gab es bereits Hinweise vor Ihrer
Ankunft?
Anlässlich einer Urlaubsreise hat mein Kollege Thomas Baumann 2007 die Beobachtung gemacht, dass auffällig viele Kinder in typischer Art hinken. Kinderärztinnen und eine Kinderradiologin haben die Häufigkeit der Behinderung an Hüftdysplasie bestätigt und grosses Interesse an einer Lösung gezeigt.
Was sind die Folgen einer angeborenen Fehlentwicklung der Hüftgelenke, wenn sie nicht
behandelt wird?
Es kommt mit hohem Risiko zu frühzeitigen Abnützungserscheinungen und im ungünstigen Fall zu einer Ausrenkung des Gelenkes, einer Luxation.
Worauf kommt es bei einer
Behandlung an?
Die Probleme entstehen dadurch, dass Kräfte auf das Dach der Gelenkspfanne diese verletzlichen Wachstumszone schädigen. Um das zu verhindern, bleiben 3 bis 4 Monate Zeit, in denen das Problem behoben werden kann. Die Untersuchung findet deshalb bei Neugeborenen statt und wir behandeln sofort, wenn wir das Problem erkennen. Wir fixieren dazu die Beine der Babys mit einer Schiene in einer Sitzstellung. Die Eltern führen die Behandlung mit kleinem Aufwand selber durch und ermöglichen dadurch eine beschleunigte Nachreifung der Hüften. Wird diese kurze Zeit verpasst, wird der Aufwand erheblich grösser und es sind Operationen, Streck- oder Gipsbehandlungen nötig, die längst nicht vergleichbar gute Resultate erbringen.
Wie kam es dazu, dass Sie und Thomas Baumann eine Studie an 8000 Neugeborenen in der
Mongolei durchführten?
Die Motivation allein reicht nicht. Wir spürten früh, dass wir die Entscheidungsträger mit belastbaren Zahlen und guten Resultaten überzeugen müssen. Die Studie war entscheidend für die Weiterführung des Projektes und hat gezeigt, dass 1,2 % aller Kinder betroffen sind (das sind jährlich in der Mongolei ca. 1000 Babys) und dass unsere Behandlungsstrategie in über 99 % zu einer Heilung führt!
Was waren die Gründe für den anfänglichen Widerstand gegen die Ultraschalluntersuchungen, und wie haben Sie das Vertrauen der mongolischen Ärzte und Familien gewinnen können?
Es galt die Lehrmeinung, dass in den ersten 6 Lebensmonaten keine Diagnose möglich sei. Wir aber konnten aufzeigen, dass die Kinder genau in dieser Zeit behandelt werden müssen, um geheilt zu werden. Das ist allerdings nur möglich, wenn es Kinderärzte tun – und nicht Orthopäden. Dadurch haben diese sich «bedroht» gefühlt. Inzwischen sind die Erfolge offensichtlich – für Mediziner und Eltern – und die unbelastende Abklärung ist seit über 15 Jahren anerkannt. Bislang wurden über eine halbe Million Kinder untersucht und 6000 erfolgreich behandelt.
Das Gesundheitsministerium der Mongolei beteiligt sich nicht finanziell an Ihrem Projekt. Welche Schwierigkeiten bringt dies mit sich, und wie haben Sie es geschafft, Spender für dieses wichtige Vorhaben zu mobilisieren?
Zunächst haben wir im Familien- und Bekanntenkreis und unter Kinderärzten gesammelt. Später haben wir Stiftungen, zwei Gemeinden im Kanton Zug und eine Korporation für Unterstützung gewinnen können. Das Gesundheitsministerium hat uns dadurch unterstützt, dass uns ein landesweites Programm übertragen worden ist und die Ärztinnen die Untersuchungen im Rahmen ihrer täglichen Arbeit verrichten. Unser Projekt liefert Ultraschallgeräte, wiederverwendbare Behandlungsschienen, Ausbildungsmaterial und hat eine Software für die Dokumentation und Qualitätskontrolle entwickelt. Geld aus der Mongolei wird dafür in absehbarer Zeit leider nicht zur Verfügung stehen, das würde für andere Dinge nötiger gebraucht.
Für die Untersuchung der erkrankten Kinder wird eine Baby-Liegeschale eingesetzt. Bitte
erklären Sie uns doch, was eine Baby-Liegeschale ist?
Es ist am besten, das bewegliche Gelenk zu untersuchen, wenn das Kind auf der Seite liegt. Die Schale fixiert das Baby in dieser Position auf bequeme Art.
Im Jahr 2009 sind die ersten Baby-Liegeschalen in die Mongolei geliefert worden. Diese waren mittlerweile in die Jahre gekommen. Nun ist eine zweite Serie gefertigt worden. Können sie uns etwas zur Entwicklung und Produktion der neuen Serie sagen?
Die bei uns gebräuchlichen Schalen sind sehr teuer und schwer. Allein der Transport in die Mongolei kostet viel Geld. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz eine leichte, stapelbare Kunststoffschale hergestellt und die erste Serie ab 2016 ausgeliefert. Für die zweite Serie konnten wir erneut ein Studentenprojekt in Anspruch nehmen und Verbesserungen umsetzen.
Verschiedene Industriepartner haben die neuen Baby-Liegeschalen kostenlos gefertigt. War dazu viel Überzeugungsarbeit nötig?
Nein, die spontane Bereitschaft zur Unterstützung hat uns wirklich überrascht und enorm gefreut! Die Schale ist wie erwähnt von Studierenden an der Fachhochschule Nordwestschweiz entwickelt worden. Eine Kette von Industriepartnern haben ihre Dienste kostenlos zur Verfügung gestellt: Plastika Balumag AG für die Herstellung, Paul Lüthi AG für die Überarbeitung der Werkzeuge, Sekusui Alveo AG für das Polstermaterial. Fapa Schweiz AG für die Kunststoffe und die Stiftung Zuwebe für die Montage gewähren uns Sonderkonditionen.
Was erhoffen Sie sich von der mongolischen Regierung in Bezug auf die weitere Unterstützung und Finanzierung des Projekts?Gibt es bereits Gespräche oder Signale, dass das Projekt auf eine breitere staatliche Unterstützung zählen kann?
Mit unserer lokalen Projektgruppe stehen wir in permanentem Austausch und jährlich reist mindestens eine Delegation in die Mongolei, wo wir uns mit politischen Entscheidungsträgern treffen. Das Hüftprojekt ist das einzige Vorsorgeprogramm in diesem Land, das funktioniert. Für uns ist klar, dass es möglichst bald vollständig in mongolische Hände übergeben werden muss. Aber es ist ebenso offensichtlich, dass es aufgegeben würde, wenn wir uns jetzt zurückziehen.
Welche Schritte sind notwendig, um Ihre Vision von einem globalen Standard zu verwirklichen?
Es braucht weitere Studien und Publikationen. Derzeit sind wir daran, zu zeigen, dass unsere behandelten Kinder auch noch nach Jahren mit gesunden Hüftgelenken durch die mongolische Steppe reiten dürfen und auf einfache Art definitiv vor einer lebenslangen schweren Behinderung bewahrt werden konnten.
Zur Person: Prof. h.c. Dr. med. Raoul Schmid ist Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Baar. Neben seiner Tätigkeit als Kinderarzt gründete er zusammen mit Thomas Baumann das humanitäre Hilfswerks «Swiss International Pediatric Projekt» (SIPP), eine gemeinnützige Schweizer Organisation, die sich auf die medizinische Versorgung von Kindern in Entwicklungsländern spezialisiert hat. Sein Einsatz für die Kinder in der Mongolei ist ein Beispiel dafür, wie lokal verankerte Ärzte auch global einen wichtigen Unterschied machen können.
Uwe Guntern
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